Freitag, 11. Januar 2013

Belfast Grandchild*

Diese Tage ist auch in unseren Schlagzeilen zu lesen: Aufstände in Belfast (und anderen nordirischen Städten). Auslöser: Der Beschluss, den Union Jack am Belfaster Rathaus nicht mehr an jedem Tag des Jahres, sondern nur mehr an besonderen Terminen zu hissen.
Und?, denkt der durchschnittliche Zentraleuropäer, Nur deswegen?
Nicht nur, und nicht nur deswegen. Die Hintergründe der jahrzehntelangen Konflikte sind vielschichtiger, komplizierter, verschachtelter. Von der Oberfläche her schwer zu durchschauen und zu verstehen.
Durchschnittlich erfahrene Mitteleuropäer mögen erstaunt reagieren, wenn man sie heutzutage darauf hinweist, dass ein bestimmter Friedhof "gemischt" sei. Nicht Südafrika denken. Hier ist katholisch-protestantisch gemeint. Denkt man sich in die Lage hinein, kann man sich leicht vorstellen, was ein "gemischter" Friedhof unter Umständen auslösen könnte. 

Nun hatte man sich schon ein wenig daran gewöhnt, dass es die letzten Jahre relativ friedlich zugegangen war. An der Oberfläche. Dass die Hunde nur zu schlafen schienen, konnte man sich ausrechnen. Und dass ein nur kleiner Stups sie wecken würde.

Es braucht Generationen, um Änderungen oder Lebensarten und Erziehungen zu verarbeiten oder abzulegen. Deutschlands Wiedervereinigung zum Beispiel. Doch es wird sie immer noch geben, die, die von der Vergangenheit nicht ablassen, vor ihren Ahnen nicht unehrenhaft dastehen wollen. Wie sonst kommt es, dass es in Österreich noch Monarchisten gibt. Dass es "African-American"s in den USA gibt (die seit Generationen noch nie einen Fuß auf den afrikanischen Kontinent gesetzt haben).
Einteilungen nach Religionen (fiktiv), Pigmentierung (mehr und mehr verwischend), Geografie (austauschbar). Logisch betrachtet absurd.

Wäre es so einfach wie es dem politisch durchschnittlich interessierten Nicht-West-Europäer scheinen mag, könnte man doch einfach den Reset-Knopf drücken. Nordirland weder Irland (trotz geografisch) noch Großbritannien (politisch) zuteilen, sondern absolut autark stellen. Das Stormont-Parlament als einziges und oberstes. Mit einer vollkommen neuen Flagge, unter Verwendung keiner bereits belegten Farben und Motive. Eine neue Hymne, das volle Programm.
Doch das wird nicht funktionieren. Wie es bei Schottland nicht funktionieren wird. Weil es, wie immer und wie so oft, im Grund doch um die Finanzen geht. Könnte sich Nordirland (oder Ulster? oder doch lieber nicht Ulster? lieber ein ganz neuer Name?) unabhängig selbst erhalten? Würde es eine Handelsinzestnation? Denn es würde kein Liechtenstein werden, das auf den Rest der Welt gut und gern verzichten könnte. Was hätte Ex-Nordirland Verlockendes anzubieten?
Nach den Aufständen wahrscheinlich noch weniger als davor. Touristen fallen in alte Ängste zurück, Unternehmer und Investoren befinden sich schon auf dem Rückzug. Wie hat Finnland z. B. es geschafft, loszukommen und Finnland zu werden? Geht's auch ohne große Kriege und Kämpfe?
Und nicht zuletzt: Würden die Bewohner überhaupt mitspielen? Die Vergangenheit sein zu lassen?

Ich kenne Nordiren, denen ist es herzlich wurscht ob eine Fahne weht, und welche. Es würde ihnen vielleicht gar nicht auffallen. Sie wollen ihre Ruhe und ihren Frieden, und nehmen es eben als gegeben dass Nordirland zur Zeit eben Teil des Vereinigten Königreichs ist. Doch einige andere (die ich nicht persönlich kenne) malen ihren eigenen Kaukasischen Kreidekreis immer wieder neu nach. Niemals verblassen! könnte das Motto lauten.

And the Belfast Child sings again.



* Simple Minds, Belfast Child, 1989


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