Samstag, 15. März 2014

Traum-Wohnungen

Nein, es geht nicht um eines dieser Fernsehformate in denen jemand eine Wohnung sucht, in eine Wohnung einzieht, oder eine Wohnung umdekoriert oder renoviert. Es geht um meine immer wiederkehrenden Träume, die zum Thema haben, dass ich in eine Wohnung übersiedeln "muss". Die Träume beinhalten nicht, wie ich von der maßnahme erfahre, nicht, wie ich packe und ausziehe, sondern nur, wie ich in eine Wohnung eintrete, und weiß, dass ich nun hier zu wohnen habe. Zugeteilt. Und zugemüllt. Soll heißen, alle diese Wohnungen waren bislang möbliert, und zwar sehr, und immens viel Dinge waren darin aufbewahrt – nahezu hoarderstyle. Und es gab nie ausreichend Licht. Scheinbar war ich immer der Annahme, nichts verändern zu dürfen (weil gemietet?), schon gar nicht zu entfernen. Manchmal entdeckte ich weitere, große Räume (alle zugeräumt), ähnlich der Folge von Futurama, in der sich neben dem als des Roboters Wohnung gedachten Besenkammerls ein riesiger, feiner Raum auftut. Nur dass in meinen Träumen nie ein Raum leer ist, Platz für meine Dinge oder mich selbst hat.
Ein altes, abgenutztes Bett, inmitten von Stapeln, Haufen, Türmen. Meistens alte große Teppiche. Oft ist die wohnung etwas schwer bzw. umständlich zugänglich. Nie war eine besser oder zumindest gleich gut wie meine tatsächliche Wohnung. Immer bedauerte ich dies, wusste aber dass es weder Protest, Einspruch, oder Rückkehr gab. Nie brachte ich auch wirklich meine eigenen Besitztümer und Gegenstände; eigentlich zog nur ich selbst ein. Und wurde vor vollendete Tatsachen gestellt. Erst gegen ende der Träume wurde mir bewusst, dass ich die Wohnung doch umräumen, entrümpeln, wohnlich machen könnte. Und nie war jemand da der mich zurechtgewiesen hätte, so wie nie jemand da war, der mir die Wohnung tatsächlich zugewiesen hätte. Ich wusste nur immer, Da wohne ich jetzt.
Unfertige Dachbodenwohnungen, unzugängliche Megabauten, hotelähnliche Treppen- und Gangsysteme... immer sind diese Wohnungen schwer erreichbar. Manchmal hatte ich sogar Schwierigkeiten sie wiederzufinden, wenn ich versucht hatte, auf einen Nachbarschaftserkundungsgang zu gehen. Meistens ist es Nacht, wenn ich übersiedle. In der Nacht werde ich in eine fremde, dunkle Wohnung umgesiedelt.
Was wollen mir diese Träume sagen? Was sollen sie bedeuten?
(Und nein, ich bin mit meiner Wohnung vollauf zufrieden, möchte nicht wegziehen, suche nichts Anderes, und übersiedle an sich nicht gerne.)
Ich denke, es gibt zumindest zwei Theorien die mir spontan einfallen, wie sie sich erklären lassen. Darüber muss ich unbedingt einmal genauer nachdenken. Das Muster wiederholt sich einfach zu oft.


Montag, 10. März 2014

Laurenzia, Klangstäbe und die Triangel.

Mein Kindergarten befand sich nach seiner Übersiedlung in zwei zusammengelegten Wohnungen in einem Wiener Mietshaus.
Ein Raum davon war als "Turnsaal" umfunktioniert – Parkettboden, eine Sprossenwand (oder waren es zwei?), ein Regal, aus dem die Kinder Musikinstrumente nehmen konnten. Bzw., sie wurden von der "Tante" ausgeteilt. Rasseln, Trommeln, Klangstäbe, und die Triangel. Wer zuerst und am Eingehendsten darum rief, bekam als Erster. Wer überblieb, bekam die Klangstäbe. Von denen gab es viele.
Irgendwie war die Triangel besonders beliebt, und da ich kein mädchenhaftes Mädchen und auch keine geborene Vordränglerin war, blieben mir meistens nur die Klanghölzer. Vielleicht waren es immer die selben Lieblinge, die die Triangel bekamen, vielleicht immer andere, aber sicher ist, ich kam so gut wie nie dran. Also versuchte ich, aus den langweiligen Klanghölzern mehr als nur das eine typische Geräusch, das ich noch immer im Gedächtnis reproduzieren kann, herauszubekommen. Parallel zueinander anstoßen. Über Kreuz langsam zusammenklopfen. Der Höhe nach. Reiben. Das Holz lang greifen oder knapp am Ende. Aber leider, leider, es war nicht viel Variation herauszuholen. Ein Klangholz ist kein Xylophon.
Doch einmal gelang es mir, die Triangel zu ergattern. Ich traute meinem Glück kaum. Das aus unerfindlichen Gründen heiß begehrte Instrument, es war für kurze Zeit mein. Und ich freute mich auf die Mysterien und Spezialitäten, die dem Ding vermeintlich zu entlocken waren. Aber zu meiner Enttäuschung, die Triangel verhielt sich nicht viel anders als die Klanghölzer. Lauter, leiser, sanfter, klirrender – es war im Grund immer nur das selbe Geräusch. Ich gab die Triangel nach einigen Minuten wieder zurück. Überließ es wieder denen, die nach dem glänzenden, silbrigen, klingelnden Ding gierten. Es glitzerte schön, war aber so einfältig wie die zwei groben Stecken Holz. Ich hatte den Mythos durchschaut, und mich über jene gewundert, die es nicht taten. Die die hochheilige Trophäe nur haben wollten, um jene zu sein, die sie hatten. Das Ding war ein Statussymbol, das sonst zu nicht viel taugte.

Eine andere Erinnerung aus dem "Turnsaal" ist die Feier meines Geburtstags. Es war mir äußerst unangenehm, allen anderen Kindern alleine gegenüberzustehen. Ich wollte mich am Liebsten unter dem kleinen Tisch verstecken, der in der Mitte aufgestellt war. Ich fühlte mich nicht gefeiert, ich fühlte mich vorgeführt.
Oder "Laurenzia" zu singen, bis die Knie krachten und nachgaben. Laurenzia, liebe Laurenzia mein, wann werden wir wieder zusammen sein. Am Montag. Am Dienstag. Am Mittwoch. Und jedesmal eine tiefe Kniebeuge, mit straff ausgestreckten Armen. Angeblich heißt es heute sportwissenschaftlich, dass übermäßig viele Kniebeugen den Kniegelenken schaden. Vielleicht ist die Theorie auch schon wieder überworfen. Es fühlte sich an wie ein Bundesheerrapport, wir haben uns auf- und nieder gequält. LauRENzia, liebe LauRENzia mein. Aufgeben, umfallen, hinsetzen, aufhören gab es nicht. Da musste man durch. Am MONtag. Am DIENstag. Am MITTwoch. Am DONNERstag. Am FREItag. Am SAMstag. Am SONNtag. Wann werden wir wieder zuSAMMen sein.

Später habe ich in diesem "Turnsaal" meine ersten kurzen Geschichten geschrieben. Als Tische und Sessel hineingestellt wurden und der Raum auch als eine Art Aufenthaltsraum genutzt wurde.

Ich habe noch Dutzende andere Erinnerungen an den Kindergarten.
Die stinkenden, zerkratzten Plastikteller in gelb und orange, vermutlich mit den großartigen Weichmachern der 70er Jahre versehen.
Die vielen grausigen Matratzen, die aufgelegt wurden, auf denen wir schlafen sollten, was ich nie konnte. Woraufhin ich viel Zeit bei der Köchin in der kleinen Küche verbrachte.
Die Bäume, die wir uns von Tante Renate zeichnen ließen. Das Bananenfrappé zur Jause. Der Kakao mit Haut. Der Reis, den ich auf Drohung bis aufs letzte Körnchen aufaß. Die Plastiksessel in der Kleinen Gruppe. Die grausigen Plastikbausteine.
Das Vater-Mutter-Kind-Spielen, bei dem für mich nur mehr die Rolle des Hundes übrig war, wonach ich mich nicht mehr dafür interessierte.
Die Matchbox-Autos, die die Buben mitbrachten, welche ich auch so gerne hätte haben wollen, die mir meine Eltern aber nicht kaufen wollten. Und die Buben nicht borgen wollten, weil ich ein Mädchen war.
Oder dass ich mit Robert Indianer mitspielen wollte, er aber meinte, ich könne seine Squaw sein. Die zu Hause mit dem Essen auf ihn warte. Was ich dankend ablehnte.
Oder das eine jugoslawische Mädchen, das kein Deutsch verstand, aber immer interessante kleine Dinge mithatte – bunte Fäden als Armbänder und sonstige kleine Schätze.
Sascha, der "zuckerkrank" war und darum ab und zu Saft bekam.
Didi, mit dem was weiß ich verkehrt war, der nichts anderes sagte als "Hacke!", und dazu den Arm in die Luft klappte. Ich versuchte einmal, mich ihm anzunähern, und imitierte ihn weil ich dachte so käme ich zu ihm durch, aber er verstand mich nicht.
Haben wir eigentlich getrunken im Kindergarten? Ich erinnere mich nicht an Gläser oder Becher. Gingen wir immer zur Toilette und tranken vom Wasserhahn?
Die Spaziergänge in den Grünen Prater. Die Jesuitenwiese, auf der es noch keinerlei Spielgeräte gab, nur einen alten gefällten Baumstamm und den Hügel, auf dessen Anhöhe es angeblich Wespen gab. 
Das Kinderbecken im Stadionbad, als Didi, in Schwimmflügeln, so aufs Wasser schlug dass es einem ins Gesicht spritzte. Ich tat es ihm gleich um mit ihm mitzuspielen, woraufhin er einen Schreianfall bekam.
Die Vorschulübungen: Buchstaben nachmalen. Die Blätter wurden gesammelt und "später der Lehrerin gegeben". Ich bekam diese Mappe nie. Und weil ich immer ein bisschen kleiner war als die anderen Kinder, zogen sie mich damit auf, ich müsse so lang warten bis ich so groß war wie sie, damit ich auch in die Schule dürfe. Dabei konnte ich im Gegensatz zu ihnen mit 4 Jahren flüssig lesen und schreiben, und empfand ihre Zurückstellungsdrohung daher als äußerst unfair.
Das Theaterstück, für das mir meine Mutter einen grünen spitzen Hut mit Schleier machte, da ich ein Burgfräulein sein sollte. Als jemand anderer ausfiel, wurde ich schnell auf eine andere Rolle umgeschult, weil ich "den Text so schnell lerne".
Die Prinzessinnenzeichnungen, die wir voneinander abmalten, in einem ganz eigenen Stil.
Das eine größere Mädchen aus der anderen Gruppe, die immer mit ihrem größeren Bruder angab, der bei den Sängerknaben sei. Die immer ein Lied von "Infanterie, Kavallerie, rote Husaren..." sang.
Der Jäger, der im Wald auf seine heiße Suppe bläst, und in seine kalten Hände haucht.
Meine beste Freundin, die später in meiner Volksschulklasse und noch später in der Parallelklasse meines Gymnasiums war.
Dass ich in der Ecke stehen musste und nicht mehr weiß warum. Dass ein Kind eine Schachtel "Tutti Frutti" hatte und ich gerne eines probieren wollte; mir wurde gesagt ich solle die Augen schließen, ich dachte ich bekäme eins in den Mund gesteckt, und dann war es doch nur ein Stückchen Orangenschale.
Meine roten Hausschuhsandalen, die ich nie zumachen wollte, auch nicht ausnahmsweise für das Gruppenfoto im letzten Jahr.
Wenn ich mir dieses Foto ansehe, erinnere ich mich noch an die meisten Vor- und Nachnamen der Kinder.
Jetzt, wo ich auf den Stempel auf der Rückseite des Fotos schaue, bemerke ich, dass es der selbe Kinderfotograf ist, der die Fotos für die Volksschule meines Sohns macht. 1978, Foto-Studio Nikolaus in der Gymnasiumstraße. Wie klein die Welt doch ist.


Freitag, 7. März 2014

Die Tagesthemen.

Bekanntlich kommen Tages- bzw. Wochenthemen gerne in Wellen daher. Manchmal, wenn so gar nichts los ist und man von Löchern spricht, tun sich auch Geschehnisse auf, die sonst gar nicht so thematisiert werden. Und dann wieder überschlagen sich die Ereignisse, hat der Journalist eine große Auswahl an dicken Schlagzeilen.

Was es dann in den Alltagssmalltalk schafft, ist allerdings eher regional gewichtig; Vorkommnisse die einem wie das sprichwörtliche Hemd näher sind als die Hose, werden schneller zum Gesprächsinhalt. Der großstädtische U-Bahn-Ausfall neulich? Der für einige Stunden "alles" lahmgelegt hat? Sprach man darüber nun mehr oder weniger intensiv als über die Entwicklungen in der Ukraine? Ist das Hickhack um die Gestaltung der österreichischen Matura nur für eine gewisse Zielgruppe interessant? Oder ist auch dies nur ein geringes Thema, historisch und global gesehen, im Vergleich zu den Headlines, die implizieren, dass fortgeschrittene Bildung in ihrer entfernteren Ursprungsregion auf Grund ihrer Situation gar nicht einmal gegebenes Thema für jedermann sein kann? Wie wichtig nehmen wir unsere eigenen Personen, wenn wir uns maßlos echauffieren können über den äußerst kurz bemessenen Ausfall eines Teils des öffentlich befahrenen Verkehrsnetzes, wenn wir in Nullkommanichts einen kleinen Ausnahmezustand miterleben, wenn sich Menschenmassen aufgebracht und ziellos umherdrücken, sich angesichts der akuten Bedrohung aggressiv und/oder ohnmächtig fühlen und verhalten? Wo die einen drängeln, plündern, brandschatzen, während andere sich aneinanderklammern und spontan Kleingemeinden bilden?
Und nein, ich spreche weiterhin von den U-Bahn-Bahnsteigen und Waggons der verbliebenen Fahrzeuge, und nicht über Kiew oder Simferopol.

Ist die pubertär-gefährlich symbolische Attacke auf die Damen von Pussy Riot eine passende Schlagzeile zum Welt-Frauen-Tag? Oder doch eher der halbstatistische Bericht, dass es ein Hausfrauen-Aussterben gibt; so viel wenige Prozent nur mehr im Vergleich zur vorletzten oder noch vorgestrigeren Generation, als wir noch einen Kaiser hatten und keine Haushaltsmaschinen, ohne die "Hausfrauen"-Arbeit noch Arbeit war, und einen Tag voll mit selbiger anfüllte, und nicht ergänzend vereinbar war, ein zweites, mageres Gehalt zum Familieneinkommen beizusteuern?
Dass in bestimmten anderen Ländern viel angeglichener ist, wie Männer und Frauen nahezu gleich bezahlt werden "als hier"? Auch wenn keine genaueren Zahlen darüber angegeben werden, ob Männer und Frauen in Icksüpsilonland eher nicht gleich viel, sondern gleich wenig Lohn erhalten, also vergleichsweise beide nix?
Oder dass es (wieder?) eine Sektsteuer gibt und eine jede Flasche ab hier und jetzt ein paar zig Cent mehr kostet?
Oder dass von politischer Seite her plötzlich Sotschi doch boykottiert werden kann, und zwar just wenn der paralympische Teil beginnt und Unsere Sportler die Medaillen schon abgesahnt haben? Weil, vorher war Putin ja noch nicht menschenungerecht genug, vorher ist ja noch nix passiert, vorher setzte man noch ein sportliches Zeichen, vorher war's ja noch vertretbar, vorher konnten unsere Sportler ja noch nix dafür, vorher hatte es ja noch nicht mit Weltpolitik zu tun, vorher regierte noch der Olympische Gedanke, vorher setzte man noch ein Zeichen, vorher war das olympische Dorf zwar auch schon ein potemnkinsches, aber Unsere Sportler. Vorher likte und twitterte man noch gratulierend jedem Unserer Sportler zu, aber jetzt ist Olympia ja doch eh vorbei – oder?

Was wir zu unserem persönlichen Tages- oder Wochen- oder Jahresthema machen, kommt ganz auf unsere Sicht der Welt und des Horizonts an. Welche Geschehnisse unsere Kreise stören, oder ob es sich konzentrisch ausbreitende Kreise sind die uns tangieren, oder ob wir in ganz anderen Geisteskreisen verkehren, und ob wir doch lieber bei der Bewertung des Wetters bleiben; aus Ignoranz, aus falsch konzentrierter Betroffenheit, und nicht weil es das einzige Thema ist das ungefährlicherweise offen und öffentlich besprochen, diskutiert und kritisiert werden darf; wenn uns die momentane meteorologische Situation allen Ernstes mehr und intensiver beschäftigt als das was anderen bei Strafe untersagt ist auszusprechen, oder noch ganz anderen nicht einmal ein Thema ist, weil es am Ding an sich mangelt.

Ich war zur Stoßzeit mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Als alles ausfiel. Ich wollte nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag nach Hause und meinen grippalen Infekt loswerden. Ich habe Arbeitskollegen informiert und upgedatet. Ich habe zu Hause angerufen und meine Situation und den Umstand erklärt, warum ich nicht zur erwarteten Zeit heimkomme. Ich habe mit Fremden fraternisiert, Hilfestellung geleistet, Trost zugesprochen. Ich habe mich verhalten, als wären wir alle in einem Luftschutzkeller eingeschlossen oder sonst etwas durch einen Angriff in die Luft gegangen. Mein psychologisches Ausnahmezustandsverhalten war voll aktiviert. Ich hätte stantepede Erste Hilfe geleistet und wahrscheinlich auch plötzlich verwaiste Kleinkinder adoptiert. Es ist zum Schämen, wie notfallsgeschüttelt ich auf zwei, drei Stunden U-Bahn-Ausfall reagiert habe. Noch mehr zum Schämen, wie sich andere verhalten haben. Es war kein Ausnahmezustand. Es war nicht einmal eine Generalprobe dessen. Auch wenn man einen leichten Geschmack dafür bekommen konnte, wie sich Mensch in einer solchen Situation wohl verhalten könnte und würde. In Situationen, wie sie zeitgleich anderswo stattfanden. Stattfinden.
Jetzt.