Sonntag, 15. November 2015

Austrian Summer

Es ist still geworden in diesem Blog. Dass es seit dem Sommer keinen Eintrag mehr gegeben hat, liegt aber nicht daran, dass sich nichts getan hat, sondern dass sich so viel getan hat.
Viele neue weiße Haare sind auf meinem Kopf gesprossen seit August.
Dem letzten Eintrag von Mitte August folgte ein Flug, währenddessen ich kurz eingenickt war und Folgendes träumte.
Wir kamen nach dem Flug nach Hause. Müde, heiß, froh endlich wieder angekommen zu sein. Ich zückte den Schlüssel um die Wohnung aufzusperren, trat ein, und blickte direkt ins Wohnzimmer. Und sah eine syrische Familie auf dem Boden sitzen und zu mir aufblicken, die Wohnung in Schutt und Asche, nichts mehr übrig außer Staub und Trümmer, und dazwischen dicht aneinandergedrängt Fremde, die in unserer Abwesenheit Unterschlupf gesucht hatten.
Ich schreckte aus dem Traum auf. Es war so realistisch. Es war so wahr. Es war so möglich. Ich hatte keine Angst, keine Wut, nur Mitgefühl. Und ein Gefühl dafür, wie zerbrechlich unser aller Luxus im Grunde doch ist. Und dass wir nichts verlieren würden, wenn wir es mit Anderen teilten.

Doch bis dahin war bereits viel geschehen in diesem Jahr. Und seitdem war noch viel mehr geschehen. Und seit ich beschlossen habe, endlich alles zusammenzufassen und niederzuschreiben, war wiederum mehr passiert. Fangen wir also am Anfang an und gehen chronologisch weiter. Man könnte sagen, ein Jahresrückblick.

Es ging im Januar los. Terror in Paris, als die Redaktion von Charlie Hebdo Ziel von Attentaten wurde, die Europa kurz wachrüttelten. Wach? Auch Gruppierungen wurden wieder munterer, denen man einen tausendjährigen Schlaf vergönnt hätte. Stimmen, die sich nach dem Finden eines vermeintlichen kollektiven Sündenbocks verstärkt die Hände rieben. Auf der einen Seite die Menschen, die sich solidarisch mit den "selber schuldigen Provokateuren" zeigten und die Demokratie für weiterhin lebendig erklärten. Auf der anderen jene, die die "da seht ihr es wieder"-Leier bedienten.
Man fürchtete, es wäre das Ende Europas, das Ende der Demokratie, das Ende der Unschuld. Dabei war es erst der Anfang. Nicht nur der Anfang des Jahres.
"Ich denke auch, dass das erst der Anfang war. Betreffend der Reaktionen. Und in welche Richtungen sie gehen werden. Selbstlaufende Terrornachbeben." ©, Januar 2015.
Ich wusste, das Jahr ließ sich schon zu Beginn anders an. 

Rassemblement républicain à Vienne/Republikanische Mahnwache in Wien - Je suis Charlie, 11.01.15 




Bis dahin waren bereits unzählige Menschen vor Lampedusa ertrunken, auf der Flucht in Richtung Gelobtes Europa. Bis dahin haben bereits deutsche Aufnahmezentren gebrannt, bis dahin waren österreichische Einrichtungen überfüllt und diskutiert. Bis dahin war aber noch alles weit, weit weg. Selbst Paris. Weit, weit weg.


Dann entdeckte ich das Medium des klassischen Leserbriefs. Dass sich der Socialmediafreundeskreis etwas geistig-inzestuös im Kreis selbst bestäubt und an Andersdenkende kaum herankommt, wurde immer klarer, wenn man auf Kommentare außerhalb der eigenen Kreise stieß.
Gepaart mit der Auflagen- und Leserstärke einer Gratiszeitung, die sich Kreti und Plethi tagtäglich im Aufwachmodus auf dem Weg in den Tag zu Gemüte führen, und dem Bedürfnis, vielleicht auch nur eine Person zum Nach- oder Umdenken anzustiften, flogen flinke mobile Emails in die Redaktion. Und wurden, zu meinem Erstaunen, abgedruckt.

Die Charlie Hebdo-Solidaritätsavatarbildchen verschwanden, die Stadt blühte mit dem Frühling auf, man wähnte die heile Welt wieder im Lot. Alles war wieder in weite Ferne gerückt. Man freute sich auf die Songcontest-Veranstaltung in der Stadt, man schaute zu wie alles bunt und gemeinsam wurde. Das katholische Irland stimmte ab und zu, gleichgeschlechtliche Paare heiraten zu lassen. Euphorie. Ampelpärchen, emotionale Ansprachen betreffend die Diversität der Geschlechter, aber auch nörgelnde Stimmen, die Geld- und Gedankenverschwendung diagnostizierten. Noch lagen die Gemeinderatswahlen in fernerer Zukunft, noch galt die Kritik allein der Steuergeldverwendung.

Doch parallel entdeckte der interessierte Bürger Dokumentationen und Schwerpunkte zu Jahrestagen. 70 Jahre Kriegsende. Rund 20 Jahre seit den Balkankriegen. Wer waren eigentlich die ehemaligen Nachbarn in Not, die längst zu unseren gewohnten Nachbarn im Haus geworden waren. Und warum wurden sie zu unseren direkten Nachbarn. Es gab viel nachzulernen, was in den turbulenten, raschen, konfusen Nachrichtenmeldungen von damals keine Zeit hatte, analysiert und erklärt und verstanden zu werden.

Dann kam der Sommer. Ein sehr heißer Sommer. Man hätte es, rückblickend, voraussehen können. Man hätte es, rückblickend, verstehen können. Man war allerdings damit beschäftigt, seine Füße, zu oft auch seinen Kopf, in den heißen Sand zu stecken und sich Frischluft zuzufächeln.
Frischluft, die geschleppten verzweifelten Flüchtlingen aus dem Mittleren Osten in den Kühllastern, in die sie eingeschweißt waren, fehlte. Frischluft, von der die Flüchtlinge, die keinen Platz mehr in Traiskirchen fanden, zu viel hatten, wo es ihnen sonst an schlichtweg allem mangelte.
Es war August. Man fand ausgesetzte Neuankömmlinge auf und neben den Autobahnen - die, die es überlebt hatten, und die, die nicht. Grenzüberschreitungen. Geografische, und emotionale. Im ersten Schrecken war sich niemand bewusst, dass es keine "bedauerlichen Einzelfälle" waren, wie sie vermehrt in bestimmten politischen Kreisen nun immer wieder auftraten. Sondern der Anfang des Elends vor unseren eigenen Wohnungstüren. So begann auch die Wahlwerbung für den Herbst langsam durchzusickern. Ende August war es, da ich die Innenministerin zum ersten Mal offiziell "unheilig" nannte. Und ich erinnere mich an den Satz als Facebook-Kommentar, "Jetzt kommt der Regen..."

Es war August, als sich Privatpersonen spontan per Socialmedia zusammendachten und ihre Autos vollstopften mit Wasser und Nahrungsmitteln, und sie nach Traiskirchen brachten und den Heimatlosen austeilten. Spontane Beschlüsse. Ich erinnere mich an Sätze wie, "Ich fahr jetzt." - "Ich komm mit." Neuankommende strandeten in Wiens Bahnhöfen. Leute schlossen sich zusammen und empfingen, versorgten sie. Es waren Menschen ohne Namen und Vereinigung, die plötzlich organisierten, was die Regierung in der Sommerpause nicht anschaute.
Parallel dazu wurden widerliche Angst- und Missgunst-Stimmen laut. Die Kombination von Hitze und Bier im Kopf braute Menschenverachtendes auf, und der Politik kam es gerade recht. Plötzlich war der Begriff "Gutmensch" eine Beleidigung. Plötzlich trennte sich eine Spreu von einem Weizen, die teilweise fast so gedeutet wurde, dass es Bürgerkrieg geben werde, wenn die Rechten und die Gutmenschen... Währenddessen bildeten sich Konvois von Privatautos, Menschen in Sicherheit zu bringen. Fluchthilfe, ein neues Wort.

Anfang September schien das Volksstimmefest außergewöhnlich dünn besucht. Die Vermutung kam auf, die üblicherweise Veranstaltenden und Besucher waren derzeit auf die Behandlung anderer Prioritäten eingestellt, Wahlzeit hin oder her. Auf dem Hauptbahnhof hatte die helfende Gruppe bereits einen Namen, TrainOfHope. Am Westbahnhof hatte die Caritas - 'Wir helfen' das Ruder übernommen, das bislang von gruppenlosen Freiwilligen bereitgestellt und bedient wurde.

Kennenlernen ist die einzige Medizin gegen Angst,
Langsam, ganz langsam klinkten sich Firmen und Organisationen ein. Ein drogeriemarkt startete den Verkauf von symbolischen Unterstützungspaketen.


"Furcht vor dem Unbekannten. Panik vor dem Ungewissen.
Sorge um Veränderungen.
Angst vor Verlusten.

Menschlich, all zu menschlich.
- Und jetzt stell dir vor, deine Freunde wären nicht umgebracht, deine Familie nicht entzweit, und deine Wohnung nicht weggebombt worden, und du verstehst jedes Wort um dich herum in einer gewohnten Umgebung, in der du dich auskennst und es dir an nichts fehlt, wo du hingehn und tun kannst wohin und was du willst." ©, September 2015

In den Bundesländern wurden Wahlen bereits absolviert. Mit erschreckenden Ergebnissen. Diesen Rechtsruck auf Wien umgelegt, lief man Gefahr, in Schockstarre zu verfallen. Rechtspopulisten wurden immer dreister, deren Anhänger fühlten sich immer sicherer, man zweifelte an der Funktionalität und Durchführung der Verfassung. Man wähnte sich in den 1930er Jahren. Man schüttelte sich und legte Protest ein. Und half um so mehr, an den Bahnhöfen, in den Camps, an den Grenzen. Wo einst Mock und Horn Zäune zerlegt und abgebaut hatten, wonach im jetzt vereinten, entzweiten Deutschland Die Mauer fiel, berief sich ein Orban stur und streng auf EU-Richtlinien, die nur teils unter der Hand ausgesetzt wurden, weil es nicht mehr anders ging.


Anfang Oktober, und die politische Stimmung hatte sich bereits extrem aufgeheizt. Der Wahlkampf bäumte sich in seinen letzten Zügen auf, und die Gegenstimmen wollten gehört werden. Zigtausende Menschen begaben sich auf einen Marsch, der die gesamte Einkaufsstraße Nummer Eins füllte. Ein Marsch, der zum Erliegen kam, da vor lauter Menschen kein Platz zum Gehen war.








Platz war anschließend auf dem Heldenplatz - ein Benefizkonzert zu freiem Eintritt, deren namhafte Teilnehmer nicht einfach musizierten, sondern eine Botschaft in die Welt riefen. Eine Botschaft, die kilometerweit in der Luft zu hören war. Zigtausende Menschen, deren Stimmen in der Luft hingen. Nicht das erste Mal in den letzten Monaten, in denen ich die Tränen hinunterschluckte. Mal Tränen der Empörung, mal Tränen der Erschütterung, Tränen der Hilflosigkeit, der Ergiffenheit, des Mitgefühls. Bis heute, und wir haben Mitte November, habe ich ihnen keinen freien Lauf gelassen. Nicht, als ich das kleine Kind unter einer Wartebank im Bahnhof auf dem Steinboden schlafen sah. Nicht, als Campino den Wienern und Wienerinnen laut sagte, sie dürfen sich ihre bunte, schlitzohrige Stadt nicht wegnehmen lassen. Nicht, als mir für meine mickrigen Hilfsversuche gedankt wurde als hätte ich ein Leben gerettet. Nicht, als ich schreckliche Bilder in den Medien sah. Nicht, als ich einfach nicht fassen konnte, was für eine Macht Soziopathen doch erlangen können. Nicht, als ich von Fremden beschimpft, körperlich attackiert und provoziert wurde.
Es stehen mir keine Tränen zu. Es geht mir gut. Ich habe keinen Grund für persönliche Tränen.

Dann gab es die Wahlen in Wien. Die Ergebnisse waren erschreckend, aber man kam gerade noch mit diesem großen Schrecken davon. Man dürfe jetzt nicht einschlafen, hieß es, und ich hoffe es ist dem auch so. Denn das nächste Mal zu den Nationalratswahlen möchte man sich nicht ausdenken, wenn die Tendenz weitergeführt wird.

Eine der Erklärungen, warum hier seit dem Sommer nicht mehr geschrieben wurde, ist, dass die Finger nur immer mit einer Sache zugleich beschäftigt sein können. Einerseits die Sozialen Medien, die nach zeitgleichen Wortmeldungen und Widerworten verlangen und Neuigkeiten verbreiten, die gelesen werden wollen. Andererseits eine spontane Sache, die sich unerwartet auswuchs. Sie begann mit dem Aufruf von TrainOfHope, als es plötzlich kalt und kälter wurde, dass warme Kleidung benötigt wurde. Schals, Hauben, Socken. Nachdem wir nichts mehr hatten was wir spenden konnten, dachte ich in einem meiner Kommentare direkt in die Tastatur hinein, dass ich ja, mit einem wiederzufindenden Hashtag, Strick- und Häkelanleitungen veröffentlichen könnte. Plötzlich bekam ich Zustimmung. Plötzlich hingen sich fremde Personen an. Plötzlich eröffnete ich eine Facebookseite und fand den Namen woollywelcomevie dafür, und plötzlich explodierten die Teilnehmerzahlen. Plötzlich sah man zu mir hin. Zu mir, wo es doch nichts zu sehen gab?
Leute aus verschiedenen Ländern fragten -mich-, wie und was sie tun könnten. Leute schauten mich an, als wäre ich ein Anführer, eine Weise, eine Mutter. Es war unangenehm, ungewohnt. Ich hatte doch gar nichts Großes getan. Ich fühlte mich fast wie ein Verräter, so viel Lob und Anerkennung und Dank zu erhalten, für etwas, was nichts war, im Vergleich. Und das ausdrückend, kam in Folge noch mehr davon an. Ich fühlte mich wie Brian, und ich fühlte mich wie ein Poser. Ich habe kein Geld um zu unterstützen. Ich habe kaum Freizeit, um mich zu engagieren. Alles was ich tue, ist, jeden Tag eine Haube zu häkeln und sie jedes Wochenende zum Bahnhof zu bringen. Vergangene Woche brachten wir die Kinderwägen mit, nachdem ich sie entstaubt und die Reifen im Fahrradgeschäft aufpumpen gelassen hatte. Keineswegs eine Heldentat.







Parallel versuchte ich, den Menschen klarzumachen, was los war. Dass sie sich nicht fürchten mussten. Dass das alles zu schaffen war. Dass sie niemand bedrohte oder ihnen etwas nehmen wollte.
Das Phänomen, dass Leute erwartungsvoll auf mich zukamen, mir folgten, fiel mir immer öfter auf. Im Erste Hilfe Kurs. Bei einer Kundgebung gegen den Aufbau von Grenzzäunen. Trage ich eine Aura des Wissens um mich? Wirke ich als sei ich "die richtige Adresse"? Wildfremde Menschen, die mich auf der Straße ansprechen und fragen, wie und was sie tun können und sollen? Ich beginne einen Satz zu rufen, Wildfremde rufen daraufhin mit. Suchen die Menschen verzweifelt nach jemand der beginnt, der den Mund aufmacht, der... ja ich weiß es nicht? Es verwirrt mich. Es verunsichert mich nicht wirklich, aber es verwundert mich. Irgendwie erschreckt es mich auch. Wie leicht man Menschen dirigieren kann und könnte. Mit guten und mit schlechten Intentionen. Vielleicht strahle ich ja eine gewisse Art Selbstbewusstsein und Stärke aus  – weil ich kein Schockstarretyp, sondern ein Aktionstyp bin. Wobei ich doch gar nicht selbstbewusst oder stark bin. Ich kenne mich doch, oder etwa nicht?

Und dann ist jetzt wieder etwas passiert, in Paris. Terroranschläge in der Nacht, und es ist wieder wie zum Anfang des Jahres, und alles was dazwischen lag wird in die falsche Verbindung gebracht, und von Mal zu Mal wird es stärker, und ich weiß: Januar war erst der Anfang des Jahres. Der Jahreskreis schließt sich nicht einfach. Es spiralisiert. Auch in harmlosen Diskussions- und Plaudergruppen kristallisiert sich heraus, dass im Grund jeder Mensch auf der Welt das Selbe denkt und fühlt, aber grundverschiedene Reaktionen dabei herauskommen.
"Und wir hickhacken um eine von vier verdammichten Turnhallen, weil man denen, die GENAU VOR DIESEN TERRORISTEN FLÜCHTEN, nicht gönnen will, dass sie sich kurz einmal unter ein Dach legen können. Wir sind so kleinlich, solche Scheuklappenträger, solche Egoisten. Mich selbst eingeschlossen. Ich bin um nichts besser. Ich sitze in meiner gedämmten, eingerichteten Wohnung, habe so viel dass ich es wegwerfen könnte, häkle täglich eine Haube, helfe samstags am Bahnhof und lasse mir danken für NICHTS; ich denke mir das Hirn wund um eine Erklärung zu finden für die, die nicht verstehen, nicht verstehen wollen, und es hilft NICHTS, und ich werde von Fremden beschimpft als "Gutmensch" und "Fluchthelfer" und Ärgeres, aber es schmerzt mich nicht, weil es nicht darum geht ob ich mich verletzt fühle, weil ich nicht annähernd verletzt wurde im Vergleich. Das Mindeste was ich tun kann, ist, zu versuchen, denen, die voller Angst geflüchtet sind, ansatzweise zu helfen, denn sie haben nichts außer der Angst vor dem, was uns jetzt nur als Bruchstück (!) schockiert." ©, November 2015.

Und das Jahr wird vorübergehen, und es wird immer neue Nachrichten geben, und ich werde weiter meine Hauben häkeln, und darauf achten dass es nicht alles Routine wird an der wir abstumpfen. 
Ich habe keine Angst. Man kann es nicht Angst nennen. Und ich habe keine Zeit für Angst. Und meinen Tränen kann ich freien Lauf lassen, wenn alles gut und überstanden ist. Tränen trüben den Blick. Tränen schnüren die Luft ab. Dafür ist später noch Zeit. Wenn die Erleichterung kommt, Wenn die Gefahren gebannt sind. 
Inzwischen werden es mehr weiße Haare. Ob der Dinge, die sich zugetragen haben. Der Aussagen die man gehört und gelesen hat. Der Schwierigkeiten, die zu lösen man nachdenkt. Es sind nur weiße Haare. Das tut niemand weh. Darum kann ich mich später auch noch kümmern. Es kommt alles zu seiner Zeit. Und wir schaffen das.

Montag, 17. August 2015

14 Tage im NI'emandsland ~ 14

Ich packe meinen Koffer und reise nach Österreich. Das Dilemma: Was kann ich alles mitnehmen. Wie viel passt hinein. Wird mein Gepäck beanstandet werden? Muss ich etwas zurücklassen? Habe ich nichts vergessen?

Und dann die Reise. In aller Herrgottsfrüh aus dem Schlaf gerissen werden. In der nächtlichen Kühle frösteln. Vielleicht regnet es sogar, während ich mich mit meinem Gepäck auf die Suche nach dem richtigen Weg mache.

Und die Warterei. Anstellen, Schlange stehen, das Kind mault schon. Hetzen und schauen, ob es sich noch ausgeht, etwas zu trinken zu organisieren. Bevor man durchleuchtet und durchgecheckt wird. Vielleicht müssen wir diesmal wieder was ausziehen, weil der Alarm losgeht.

Und dann zusammengepfercht mit einer Menge fremder Leute. Die Hälfte davon hat sich nicht die Zähne geputzt. Hoffentlich geht unterwegs nicht mein Gepäck verloren.

Und die Übelkeit, wenn man durch ein Wetter kommt. Wahrscheinlich bekomm ich wieder die Knie von jemand in den Rücken gedrückt.

Und dann kommen wir an, in Österreich. Was wird mich wohl erwarten? Wie sind die Temperaturen? Ist mein Garten mittlerweile eingegangen? Oder hat gar jemand eingebrochen, und meine Besitztümer sind verloren oder zerstört? Ist überhaupt genug im Eiskasten, oder muss ich mich auch noch in den Supermarkt schleppen?

Was wird mich in Österreich erwarten. Urlaubsmüde Reisende, die ihre Freizeitaktivitäten anstrengend und nervenaufreibend finden? Die ins Ausland fahren, aber in der eigenen Heimat keine Einwanderer dulden, selbst wenn ihre eigenen Vorfahren umhergewandert sind?
Was wird mich in Österreich erwarten. Was erwartet die Flüchtlinge, die sich retten müssen, zufällig in Österreich landen, alles und alle zurücklassen müssen, unter Qualen, und nichts weiter vorfinden als den nackten Erdboden und eine Unzahl saturierte, zu Unrecht verängstige Meute?

Wie zynisch, über eine Reise zu schnaufen und sich zu sorgen. Wenn man in ein gesichertes Zuhause zurückkehrt. In den Alltagstrott. Ins eigene Bett.

Schauen wir uns genau um. Und halten einen Moment inne.

14 Tage im NI'emandsland ~ 13

Es ist immer wieder erstaunlich, wie die Umstände und Details sich ändern, aber doch gleich bleiben bzw. sich ähneln.

Der Süden ist irgendwie süßlicher, runder, naiver und niedlicher. Wobei die geographische Distanz quasi keine ist. Man merkt heutzutage kaum, wann und wo die Grenze überschritten ist. Im Norden dagegen ist es rauer. Strenger. Gerader und grauer.
Schwer zu sagen woran es liegt. Die Architektur? Die Stadtplanung? Die Verwaltung? Tragen Orte eine spürbare Vergangenheit in sich?
Ist die Vergangenheit im Norden überhaupt wirklich vergangen. Man sieht städtische Schulprojekte, Resultate vereinter Aktionen, Gemeinschaftsgärten und lebensfrohe, neutrale Wandbilder.
Und man hört Erzählungen, eigentlich nur knappe Anmerkungen, die eine ganze Geschichte in einen leisen Satz packen. Man sieht gesprayte Graffitis, deren kurzen Formulierungen Rauchschwaden an Hintergründen nachziehen.

Schauen wir uns auch morgen noch einmal um, wenn es heißt:

Sonntag, 16. August 2015

14 Tage im NI'emandsland ~ 12

Manchmal möchte man die Zeit zurückspulen wie eine Videokassette,  und dafür andere Phasen kurz halten bzw. überspringen oder überschreiben.
Das individuelle Zeitgefühl ist generell ein spannendes Phänomen: wie unterschiedlich sich Zeitspannen, Zeitabstände "anfühlen".

Schauen wir uns auch morgen wieder um und vielleicht auch ein Stück zurück.

Samstag, 15. August 2015

14 Tage im NI'emandsland ~ 11

Zu Fuß??
Seit es einfach geworden ist, sich ein Auto zuzulegen, und man mittlerweile nahezu überall damit hinkommt (wie wäre es mit autofreien Zonen, abgesehen von den paar lächerlichen Metern Fußgänger(!)zone hie und da), geht man kaum längere Strecken als zehn Minuten zu Fuß.
Ein öffentliches Verkehrsmittel muss her, wenn schon nicht das eigene Automobil.

Es ist mir aufgefallen, dass Kinder, die sehr jung sehr oft und viel und flott gehen, später kein Problem haben mit zwei- bis dreistündigen Dauermärschen. Man muss sie auch nicht mit dem Auto in die Schule bringen.

Als wir also der Schnellstraße entlang etwas über eine Stunde hin und etwas über eine Stunde zurück gingen von unserem spontanen Ausflugsziel, waren wir die einzigen Fußgänger weit und breit, die ohne fahrbaren Untersatz angekommen waren.
Dafür war das Erfolgserlebnis weitaus größer, und wir brachten vom Feld Karotten mit heim.

Schauen wir uns auch morgen wieder um wenn es heißt:

Freitag, 14. August 2015

14 Tage im NI'emandsland ~ 10

Falls mein heimatlicher Garten tatsächlich mittlerweile in der neuartigen alpin-pannonischen Sommerhitze eingegangen sein sollte, hab ich zumindest wieder eine Handvoll Gewächse nachzuziehen.
Was in der einen Region als alles überwucherndes Unkraut gilt, ist in der anderen ein heikles Pflänzchen, das sorgfältig umhegt werden muss und vom schlingenden Invasiven schnell zum empfindlichen Exoten wird.

Schauen wir uns auch morgen wieder um und finden vielleicht, was sich rücksichtslos breit macht, oder um nach Luft japst.

Donnerstag, 13. August 2015

14 Tage im NI'emandsland ~ 9

Sandburgen sind der Inbegriff des Vergänglichen. Gleich wie man sie vor Zugriff oder den Gezeiten schützt, sie vergehen ja doch. Man muss also schnell sein, um sie zu entdecken, und sich für kurze Momente so konzentrieren können, sie genießen zu können.
Es ist wie mit Blumen und Blüten, dem Wetter am Himmel, einem vorbeiziehendem Tier.
Mit unseren Fotokameras gaukeln wir uns selbst vor, Momente einfrieren oder aufheben zu können. Dabei zieht jeder Moment vorbei und wird zum nächsten. Kein Sinn, nervös zu werden, weil man ihn vielleicht verpasst haben könnte: In der Nervosität versäumt man schon den kommenden.

Mittwoch, 12. August 2015

14 Tage im NI'emandsland ~ 8

Vieles fällt einem gar nicht auf, wenn man es stets um sich hat und man es darum vielleicht gar nicht näher betrachtet oder überhaupt nicht hinschaut. In manchen Sprachen kann man leichter absichtlich missverstehen als in anderen.

Schauen wir uns auch morgen wieder um wenn es heißt:

Dienstag, 11. August 2015

14 Tage im NI'emandsland ~ 7

Vielleicht sind Roboter doch harmloser als Menschen.

Schauen wir uns auch morgen wieder um, wenn es heißt:

Montag, 10. August 2015

14 Tage im NI'emandsland ~ 6

Manchmal lohnt es sich, am frühen Abend einen Teller mit Katzenfutter in die Wiese zu stellen. Abgesehen von einem halben Dutzend Katzen und einer Handvoll Nacktschnecken kommt vielleicht auch ein Igel vorbei.

Schauen wir uns auch morgen wieder um, wenn es heißt:

Sonntag, 9. August 2015

14 Tage im NI'emandsland ~ 5

Der nächsten Hitzewelle sind wir also entkommen. Konstante 38 Grad, da könnte ich selbst freie Tage nur absitzen, und nicht genießen.
Dagegen sind 12 Grad fast winterlich, doch bekanntlich kann man sich immer noch etwas anziehen.

Dass es hier im Winter nicht friert, erkennt man auch an der Architektur. Fassadendämmung habe ich hier noch nicht entdeckt, dafür aber spinnwebsartige Konstrukte an den Außenmauern, die scheinbar willkürlich, da an jeder Wand in verschiedener Anordnung und Platzierung, über die Häuser kriechen.

Es ist das Abwasser- und Abflusssystem. Wo Wasser abfließen soll, wird ein Loch gebohrt, ein Rohr durchgesteckt, mit weiteren Rohren verbunden, und fertig.
Das Außergewöhnliche an dem Anblick erklärt sich durch die Temperaturen, die selten unter den Gefrierpunkt fallen. Geplatzte Rohre dürfte es nicht geben, und ein Wasserrohrbruch nicht eine derartige Wirtschaft verursachen.
Es sind immer wieder diese kleinen Details, die Unterschiede aufzeigen, und sie verstehen lassen.

Schauen wir uns auch morgen wieder um, damit wir ein bisschen mehr von der Welt verstehen.

Samstag, 8. August 2015

14 Tage im NI'emandsland ~ 4

Die Seele des Menschen ist so unergründlich, so tiefgründig, so abgrundtief unverständlich. Fernsehdokumentationen über Mörder und deren Beweggründe, ob Mensch "schon böse zur Welt kommt" oder was einen zum Morden bringt, wechseln sich ab mit der Rekapitulierung historischer Ereignisse, Kriege und deren auslösende Momente, Portraits einflussreicher Politiker und die Offenlegung ihrer Pläne, Taten und Motivationen.
Namen schwirren in meinem Kopf, Gesichter und Bilder, Mladic, Göring, Karadcic, Himmler, Milosevic, Goebbels.
Und es gibt nichts zu verstehen, und es gibt nichts zu begreifen, von Treblinka bis Srebrenica, die Menschen schaffen es einfach nicht, Gefallen am Frieden untereinander zu finden, und ihren Nachwuchs dazu zu erziehen.

Was unterschwellig weiterglost und immer wieder ein wenig Lufthauch abbekommt, lodert nur all zu schnell im Nu auf und wird zu einem Flächenbrand, zu einem Feuersturm, in dem jeder mitbrennt. Nicht überraschend. Gezündelt wird immer, ob mehr oder weniger, und oft ist der Brandgeruch einfach nicht mehr unbemerkbar. Viele haben eine feinere Nase, einigen muss es schon die eigenen Barthaare ansengen damit sie realisieren dass es ernst wird. Und manche holen den Blasebalg heraus.

Egal wo egal wann, die Reibereien hören nicht auf. Und dann findet sich über Nacht ein Graffito an einem Verkehrsschild am Rand einer kleinen Ortschaft, das auffordert, die Leben aller Zugehörigen einer Glaubensgemeinschaft zu beenden - K.A.T.
Der Mensch ist wie ein veganer Kannibale.
Und ja und nein, es ergibt keinen Sinn.

Schauen wir uns auch morgen wieder um, wenn es heißt, The Turning of the Shrew.

Freitag, 7. August 2015

14 Tage im NI'emandsland ~ 3

Tourismus und Wirklichkeit.
Jedes Land steckt doch in seiner Schublade drin. Als Österreicher erntet man entweder leer-fragende, oder beeindruckt-bewundernde Blicke. Aber hier, hier geht es nicht so leicht von der Hand mit dem Tourismus. Und wie Österreich mit Australien, Wien mit Venedig, Österreich mit Deutschland, so muss man auch hier klarstellen, wo und wer man ist.
Ein Bayer ist kein Preuße, und ein Wiener kein Deutscher (nein, wirklich nicht), und so ist Großbritannien nicht England, und der Norden ist nicht die Republik, und es ist alles etwas komplizierter als du denkst, aber dann eigentlich doch wieder gar nicht. Stell dir einfach vor, Südtirol. Westberlin. Das ist wichtig, das ist nicht eh dasselbe.
Jedes Land hat so seine Schublade, und wenn an die Republik gedacht wird, bekommen die Meisten ein verklärtes Lächeln, Wie schön, da wollt ich schon immer hin, dort ist es doch so schön. Die grünen Hügel, das Gefiedel in urigen Pubs, die Schafe, die Burgen, die Arbeitslosigkeit, die Misswirtschaft der Politiker, die Steuern aufs Trinkwasser, mah schön.
Achso der Norden, wie ist es denn dort. Hmm.
Die, die nicht nach der geistigen Gesundheit des Reisenden fragen weil sie wissen, Belfast, Derry, Bomben, Gefahr, weil so war das vor zwanzig Jahren, haben auch keine rechte Vorstellung. Da kann ein Schauspieler dutzende Preise erhalten, weil er gespielt hat dass er mit einem großen, berühmten Schiffernakl untergegangen ist, und es wird ein Ausstellungszentrum dessentwegen errichtet, aber das lässt gewiss niemand einen Flug mit Umstieg buchen. Man kommt bis zur englischen Hauptstadt oder bis zur irischen, aber in den Norden gibt's nur Regionalflüge. Und wer tut sich das an, nur um Drehschauplätze einer Fernsehserie zu besichtigen. Auch wenn sie schon vorher Weltkulturerbe waren.

Man braucht für jedes Land einen kompakten Kubus, der das Image beinhaltet. Alles Schöne rein, alles Einzigartige, und ein bisschen Info und Realismus, weil man kennt sich ja aus.
Ein ganzes Land auf einem Foto, auf einer Ansichtskarte. Sisi auf einem Lipizzaner vor dem Stephansdom, daneben der geigende Mozart, dem Sachertorte mit Schnitzel und Melange serviert wird.

Schauen wir uns auch morgen wieder um und halten wir die Augen offen.

Donnerstag, 6. August 2015

14 Tage im NI'emandsland ~ 2

Dadurch, dass hier so viel Platz ist dass man nicht in die Höhe bauen muss, dafür aber viel Grün unbebaut bleibt, weil man es vorher trockenlegen bzw. zumindest etwas entfeuchten müsste, kann man getrost, wenn auch nicht als Philosophie sondern der Gegebenheit halber, der Freilandhaltung frönen.
Und nein, ich meine nicht Hühner. Sondern Kinder und diverse Haustiere, sofern sie vierbeinige Säugetiere sind.
Freilandhaltung? Bei Kindern?
Das bedeutet ungefähr das, was in den 1970ern/1980ern noch nicht so ungewöhnlich war. Dass Kinder mit Freunden im Freien umherziehen, telefonisch unerreichbar, höchstens mit Auflagen die Rückkehr betreffend.
Dass sie über Dinge klettern und durch Gebiete streifen, ohne einen Kurs dafür belegt zu haben. Oder dass ein Hubschrauber über ihnen kreist.

Katzen könnten einem vielleicht zulaufen, oder auch nicht, oder nur des Futters wegen kommen, oder auch mal eine verregnete Nacht lang verschwunden sein.
Hunde können sich der Passion, einen Passanten auf der anderen Seite des Zauns stundenlang zu verbellen, hingeben. Anfangs, weil sie einen zuerst entdeckt haben, dann weil sie einen begrüßen-äh-bedrohen, dann weil sie einen verjagt haben, dann um einem nachzuschreien dass man sich ja nie wieder blicken lassen soll, und schließlich muss noch allen lauthals davon berichtet werden, was für ein Held man doch sei.

Was machen eigentlich Stadthunde den ganzen Tag alleine in der Wohnung. Spielen sie? Schlafen sie? Warten sie den ganzen Tag nur darauf, dass jemand kommt um sie kurz ins Freie zu lassen?

Großstädte sind sehr wohl Orte, an denen Kinder gut aufwachsen können. Sie müssen nicht gezwungenermaßen aufs Land, wenn ihnen der Urban Jungle so viele Möglichkeiten und Reibungspunkte bietet. Nur für Haustiere ist es nichts. Da nimmt man sich lieber einen Furby.

Schauen wir uns auch morgen wieder um und finden vielleicht

Mittwoch, 5. August 2015

14 Tage im NI'emandsland ~ 1

Es wird diesmal ein massiverer Szenenwechsel. Weniger meine ich damit die Geographie und das Klima, sondern die Tages- und Monatsthemen, die regional variieren. Unterschiedliche Blickwinkel und Hintergründe, andere Geschehnisse und Begebenheiten.

Vielleicht flüchte ich ja nicht nur vor der nächsten Hitzewelle von konstanten 38 Grad Celsius, die mich bei weiterer Tendenz in den nächsten Jahrzehnten möglicherweise zum Auswandern bringen könnte.
Vielleicht flüchte ich aber auch vor den Tagesgeschehnissen, den Zitaten, den Wortmeldungen, die mir "in der Heimat" um die Ohren fliegen. In der "Heimat", die "er" meint.
Dieser "er", was täte er in einem Land, in dem es vergleichsweise kaum Einwanderer gibt? Wo würde er ansetzen Unruhe zu stiften, aufzuwiegeln, Wespen-, Schlangen- oder Rattennester zu konstruieren.
Höchstwahrscheinlich wäre seine Partei dann eine jener, die aus Gruppierungen entstanden sind, die mittels ihrer eigenen Armeen den Dauerbürgerkrieg am Laufen gehalten hatten. Nur dass hier Politiker nicht so plakativ die Go aufreißen. Es tuscht mitunter nämlich. Eines Politikers Stimme wurde jahrelang nicht öffentlich gesendet, Interviews mit Synchronstimme belegt. Hier haben Politiker ihre eigenen Markierungen auf dem Kerbholz.
Und "daheim"? Was geschieht gerade "daheim".

Schauen wir uns auch morgen wieder um, wenn es heißt:

Montag, 20. Juli 2015

Notiz an mein altes Ego

Duftflüssigkeit für Diffuserfläschchen mit Bambusstäbchen selbst nachmischen!

- 9 Teile Wasser
- 1 Teil reiner Alkohol
- ein paar Tropfen ätherische Öle
-> durchmischen und fertig.

Vielleicht lassen sich abgenutzte Stäbchen durch billige, aufgeraute Schaschlikspießchen ersetzen?
So kann man sich nicht nur Duftfavoriten zusammenstellen, sondern auch die Wirkung der ätherischen Öle nutzen.

Sonntag, 5. Juli 2015

Wenn Männer saubermachen.

Um die Spielregeln und Metaphysik des männlichen Saubermachens zu verstehen, bedarf es einer detaillierten Punkteliste.

1. Die Affinität zu elektrischen Geräten endet dort, wo ihr Gebrauch der haushalterischen Reinigung dient.
Auch alte Besen kehren gut, und Staubsaugen ist für Mädchen - was spätestens seit "I Want to Break Free" von Queen visuell festgehalten ist.
Schließlich kam auch die Ururururelterngeneration gut ohne zurecht, auf dem gestampften Lehmboden.
Auf die Frage, wie dann Teppiche und textil ausgestattete Sitzmöglichkeiten entstaubt werden würden, folgt auf einen leeren, da verständnislosen Blick, der darauf gründet, dass diese Option gedankliches Neuland ist, ein postpubertär trotziges "hab ich doch eh".
Sollte der Staubsauger dennoch aktiviert worden sein, treffen weitere, nun folgende Punkte zu und ein:

2. Das Gerät ist ausschließlich mittels schwächster Stufe einzusetzen.
Anderenfalls könnte unter Umständen das fragile Innenleben des Computers Schaden nehmen - und ausnahmslos zu dessen Reinigung wurde das Sauggerät ursprünglich erdacht.

3. Hinter meiner, vorder meiner, links, rechts, gilt's nix.
Sprich, hinter offenstehenden Türen, unter Möbeln, in Ritzen oder auf bebröselten Oberflächen ist das Gerät ohne Ausnahme nicht zu verwenden.
Der Goldene Mittelweg gehört einzig und allein gepflegt, da allein auf diesem die Gefahr bestünde, sich Flusen in die Socken einzufangen.

4. Der Männliche Haarausfall ist definitiv inexistent und muss daher strengstens negiert werden.
Produkte der Bioregeneration können, ja müssen eindeutig und ausschließlich den anderen Mitbewohnern zugeschrieben werden - bei Abwesenheit eines Haustieres ist umgehend das häusliche Kind erstzubeschuldigen.

5. Schmutzhauptursachsquelle ist, siehe Punkt 4, zuallererst das Kind. Auch in Koexistenz mit einem Haustier (dem aufgrund reduzierten Ursache-Wirkung-Verständnisses prinzipiell nachgesehen werden muss) ist das Kind jeglichen Alters Ansprechpartner Nummer Eins, da es praktischerweise keinerlei Einspruchsberechtigung besitzt.
Brösel auf dem Esstisch (wie auch Spritzspuren auf dem Badezimmerspiegel u. Ä.) müssen daher zuerst dem Infanten zugeschrieben werden; mitunter empfiehlt sich zur Untermauerung der Anklage das unter- oder obertischige Zuschieben von Essensresten und dergleichen.

6. Spinnweben sind vernachlässigbar wenn nicht sogar zu begrüßen, da sie allfällige Ameisen noch vor der Computerlüftungsschlitzzone abfangen und umleiten.

7. Staubfingerprobenabstriche sind ausschließlich im Kinderzimmer durchzuführen; vorzugsweise in höheren Regionen, an die der Sprössling nicht gefahrlos heranreicht bzw. perspektivsbedingt keine Einsicht hat.

8. Besen bzw. in Ausnahmefällen Staubsauger dürfen nur dann aktiviert werden, wenn der weibliche Mitbewohner bekanntgegebenerweise eine Reinigungsaktion geplant, angekündigt oder bereits gestartet hat.
Das dankende Ablehnen ihrerseits muss allzeit mit einem PPT (postpubertär-trotzigem, siehe oben) "na gut, ich wollt nur helfen, aber du lässt mich ja nicht/nie" kommentiert werden.

9. Wird eine ausnahmsweise bereits erfolgte Männliche Reinigung von der weiblichen Mitwohnperson ansatzweise todesmutig korrigiert, kritisiert oder ergänzend inspiriert, muss umgehend PPT (s. o.) angewendet werden.
Erinnerungskapazität ausschließlich in diesem Feld: bis auf Lebenszeit.
Etwaige Details der erinnerten Vorwürfe dürfen, ja müssen, bei jeder zukünftigen Erwähnung ausgeschmückt, aufgeblasen und intensiviert werden.

10. Reinigungsgeräte sollen, bzw. dürfen unter keinen Umständen gereinigt werden, sondern müssen in verdrehtem, verstaubtem und verflustem Zustand hinterlassen werden.
Ein zur Reinigung bestimmtes Werkzeug selbst zu reinigen fällt unter die Kategorie "paradox" und ist nicht einmal ansatzweise zu überdenken oder der Kontemplation zu widmen.

Zusatzpunkt 11. Dem weiblichen Part ist nach und vor allem während ihres Reinigungsprogramms weder auszuweichen noch unterstützend behilflich zu sein.
Ausreichend und obendrein wertvoll ermunternd ist ein wiederholtes "entspann dich doch mal" oder "das sollst du doch nicht, mit deinem Kreuz".
Überdies ist der Reinigungerfolg zwar zu quittieren und zu loben, andererseits so bald als möglich wieder in den Vorher-Zustand zu versetzen.
Dadurch aufkommende etwaige kurzfristig aufblitzende Gewissensbisse werden umgehend mit der in Punkt 5 erläuterten Methode ausgeräumt.

Punkt 12, das Passive Männliche Aufzeigen Übersehener Restschmutze (PMAÜR) , wird zwecks Blutdruckschonung der weiblichen Bevölkerung ausgespart und nicht weiter beschrieben.

Samstag, 16. Mai 2015

Bratislava.

Mit der Bahn vom neuen Wiener Hauptbahnhof - alle Verwirrungen vergangenen Winter seien vergeben, auch wenn mein geographisches Gefühl noch immer irritiert, dass der Südbahnhof verschwunden ist - dauert es knapp eine Stunde zu jeder halben Stunde, Bratislava zu bereisen. Die zwei einander am Nähesten Hauptstädte.
Wir entscheiden uns für den Zug am Nebengleis, der zum Hauptbahnhof im Norden fährt. Allein darum, weil weniger Leute zusteigen, und wir so noch ein wenig Zeit übrig haben, um ein Getränk für die Reise zu kaufen.

Die Hauptstrecke liegt auf österreichischem Gebiet, und kaum passiert man die unbemerkbare Grenze, hat man das Ziel schon erreicht. So schnell konnten die Schaffner der zwei Länder gar nicht altmodisch die Fahrkarten abstempeln.
Der Hauptbahnhof hält, was das Klischee verspricht - 60er Ostblock-Design und Polizeipatrouillen begrüßen einen wortlos. Und man lernt sogleich zwei wesentliche Dinge: Beschilderungen und Wegweiser sind hier nicht so selbstverständlich. Und man spricht Slowakisch. Ausschließlich. Auch am versteckten Infopoint, an dem man sich einen groben Stadtplan erbitten kann, wird auf "English? Deutsch?" nur streng der Kopf geschüttelt. Aber die Autobusnummer wird auf den Papierrand gekritzelt, weil der sprachlose Fremdkörper nicht umherirren möchte.

So kommen wir dem Zentrum ein Stück näher, erblicken die innerstädtische Burg, und beschließen, mit dem touristischen Programm zuerst loszulegen, wenn wir schon einmal da sind. Umständlich umrunden wir den Bezirk, und fallen die Burg rückseitig an. Die Aussicht gibt einen interessanten Überblick über die Stadt, aber Touristenfallen weichen wir aus. Besonders auf unserem Weg ins Zentrum.

Eine Menge interessanter Graffitis gibt es zu sehen, und immer wieder begegnet uns ein stummes Gespenst. Jedenfalls netter anzusehen als der PoohBär. Und die Straßenbahnen bedienen das nächste Ex-Ostblock-Klischee, neben den ruinösen Fassaden und vor allem Straßenbelägen. Ab und zu gibt es auch keinerlei Abgrenzung zwischen Trottoir, Fahrbahn und Gleiskörper, und man findet sich plötzlich zwischen ein paar quietschenden, aber niemals bremsenden Straßenbahnen wieder. Touristen!!! Ampeln scheinen auch überbewertet - aber es klappt.

Noch mehr Lärm verursachen allerdings Gruppen von Jugendlichen, die trompetend und jubelnd, teils in Anzügen, durch die Stadt spazieren. Sie halten Schilder hoch und rasseln und tröten, und mir wird klar: Abschlusszeugnis! Eine Mischung aus Maturastreich und Stag-Night, sammeln sie Kleingeld für ihre Feier, und ziehen lautstark durch die Straßen. Mindestens fünf verschiedenen Grüppchen begegnen wir, aber nur eine erhält eine 2-€-Spende von mir. Weil ich in schönstem, aber dennoch unverständlichem Slowakisch angesprochen werde. Ich teste des Maturanten Englisch (wer, wenn nicht er) und bekomme bestätigt, was ich mir zusammengereimt habe.

Natürlich steckt die Innenstadt voller Touristenfallencafés, aber auch voller verschachtelter, kleiner Gässchen, und vielen Kirchen und Palais. Und noch mehr Kirchen. Elisabeth sei Dank, mehrmals und immer wieder.
Da ich dort Mittagessen möchte, wo Einheimische speisen, der Mann an meiner Seite aber nicht so überraschungsfreudig ist, dauert es bis zum Nachmittag, dass ich den Hut drauf hau und sage, Gut, gehen wir zurück ins Zentrum, in dieses eine Pub das sich schottisch nennt, und pervertieren wir das Ganze.
Den Haggis, den ich auf der Karte fand und grinsend bestelle, gibt es nur leider nicht. Nix Chieftain o' the Puddin' Race. Dafür riesige Lamm- und Känguruhburger. Bratislava as Bratislava can. Übrigens sind Getränke überaus kostengünstig - bei einem Versuch an einer anderen Stelle, an Mittagessen zu kommen (als wir schon gewählt hatten, uns dann aber mit Händen und Zetteln erklärt wurde, dass es mittags nur das eher unansprechende Mittagsmenü gäbe) leisteten wir uns unabsichtlich zumindest eine Trinkpause, und zahlten für ein Sprite, ein CokeZero (oder eher doch ein landesstämmiges Kofola?) und ein großes Bier drei Euro.
Es würde mich nicht wundern, wenn so manche Partie des Wochenendes auf Saufurlaub vorbeikommt, und finde die Zeitwahl mit dem Fenstertag gelungen.

Auf der Suche nach Restaurants und/oder Toiletten durchquerten wir so manches internationale Kleidungsgeschäft, da Einkaufszentren eher offen gestaltet sind. Dafür muss auf Toiletten bezahlt werden - damit man sich rationierte Portionen von grauem, rauen, seltsamen Geruch verströmenden Toilettenpapier abholen darf.

Pappsatt und wieder etwas beruhigter streifen wir noch einmal durch die Stadt, als mich leuchtende Augen von einer Straßenecke anstarren. Ein Jawa! Uhtidii!
Ihm folgen Stormtrooper und weitere Star Wars Charaktere, und ich befehle kurzerhand, ihnen kurzfristig zu folgen, da wir alle Zeit der Welt, und nichts Bestimmtes vor haben.
Wir folgen ihnen bis zu einem Spiele- und Comicgeschäft, an dem wir vorher schon vorbeigekommen waren. Meine Berechnung, sie könnten im naheliegenden Spital inklusive Onkologie vielleicht kranken Kindern einen Besuch abstatten, war nett gedacht aber knapp daneben.

Bratislava, wo man Känguruhfleisch in einem schottischen Pub isst, die Stormtrooper übers Platzl marschieren, - und man in Euroshops Erinnerungshäferl an die britisch-royale Hochzeit kaufen kann.
Wir machen uns auf den Weg zum Bahnhof - diesmal aber Petržalka im Süden - und ich darf endlich an einer Station die Fahrpläne studieren und eine Straßenbahn aussuchen, die uns in Richtung Bahnhof bringt. Nachdem ich mir meines Wegs schon sicher bin, plaudert uns eine ältere Dame fröhlich betreffend des Fahrplans an. Mein Slowakisch ist noch immer nicht besser.

Eigentlich müssten wir zusätzlich einen Bus über die Brücke, zum Bahnhof nehmen, aber wir versuchen es zu Fuß. Überqueren die Dunaj, scherzen darüber, stromabwärts heimzuschwimmen, und gehen an Bratislavas Ufo vorbei.
Und landen in einem Einkaufsgebiet wie der Shopping City. Aber wo ist der Bahnhof! Ein slowakisch sprechender Security (?) den wir um Rat fragen, deutet uns mit streng-ernstem Blick, ihm zu folgen. Für zehn Minuten gehen wir schweigend, weil was will man schon sagen, durchs Gelände, bis er auf eine Bushaltestelle zeigt. Mit Nummer 93 schaffen wir's dann auch.

Zurück in Wien, wo alle Schaufenster beleuchtet sind. Wo allgemein mehr Licht aufgedreht wird, und man bestrebt ist, alles piccobello und in Schuss zu halten. Wo Orientierungstafeln und Wegweiser und Beschriftungen gang und gäbe sind.
Und wo es nicht nach Ostblock riecht - nach Kohle und Benzin, so wie in Ostberlin damals. Irgendwie unnötig überkandidelt, aber wir sind halt da zu Haus.