Sonntag, 17. Juli 2016

Ein Dorf namens Welt

Das Jahr 2016 hat es in sich. All überall scheinen die Gesellschaften streng zwiegeteilt, rund um die Welt geschehen Ereignisse oder stehen bevor, die uns betroffen machen ohne uns zu betreffen, die uns nahegehen ohne in unserer Nähe stattzufinden, über die wir bestimmen möchten ohne dort eine Stimme zu haben.

In wie weit geht uns die jeweilige Politik anderer Länder etwas an?
Steht es uns zu, zu protestieren, wenn die Bevölkerung eines anderen Landes ein "falsches" Oberhaupt gewählt hat oder wählt oder wählen wird oder wählen könnte?
Dürfen wir, in einem anderen Land, uns einen Kandidaten überhaupt "wünschen"? Dürfen wir enttäuscht sein, wenn "unser Favorit" nicht die Position erlangt, in der wir ihn gern gesehen hätten?
Dürfen wir uns mit unserer persönlichen Meinung überhaupt einmischen? Urteilen? Verurteilen?
Hat uns jemand um unsere Meinung gefragt, oder unseren Rat?

Wenn sich die Nachbarin eine, in unseren Augen und nach unserem Geschmack beurteilt, hässliche Couchlandschaft kauft, zu einem überhöhten Preis, die uns unbequem wäre - wäre es nicht ihr Sitzmöbel, in ihrem Wohnzimmer, in ihrer Wohnung? Und hätten wir Bedenken, dass ihr Haustier dieses sündteure, scheußliche Monstrum in kürzester Zeit zerstören könnte - hat sie nach unseren Bedenken gefragt? Ist es nicht allein ihre Entscheidung?

Und würden wir uns von der Nachbarin ungefragt dreinreden und kommentieren, wenn nicht sogar protestieren lassen?

Die Welt ist ein Dorf geworden. Mit Dorftratsch, in dem wir uns über Andere das Maul zerreißen. Mit Dorfbestimmungen, anhand derer wir Anderen vorschreiben wollen, wie sie ihren Vorgarten zu gestalten haben. Mit dörflicher Nähe, in der wir glauben uns erlauben zu dürfen, auf jedermanns Grundstück ein- und ausspazieren zu können wie es uns gelüstet.

Aber die Dörfler, die Wir, das sind die Mitteleuropäer. Die Ex-Erste-Weltler. Wir sind besser als die Anderen. Fortschrittlicher. Wir haben den Durchblick. Den Standard. Die Weisheit mit dem Löffel gefressen. Und diesen Löffel müssen wir allen und jedem in den Rachen schieben, ungefragt.
Unsere Kultur ist die Einzige, unsere Religion, unsere Mode, unsere Musik, unsere Filme, unser Aussehen. 
Wir sind die Helikoptereltern der gesamten Welt.
Irgendwie nicht verwunderlich, wenn irgendwo irgendwann irgendwer einmal davon die Nase gehörig voll hat.

Dabei sollten wir gerade in diesen Zeiten vorsichtig sein, ob wir eigentlich Berechtigung, wenn es so etwas überhaupt gibt, zu einer solchen Arroganz haben. Entwickelt sich Mitteleuropa nicht gerade etwas suboptimal? Haben wir nicht an allen Ecken und Enden vor unserer eigenen Haustüre Grund zu meckern und zu kritisieren? Und sollten wir nicht vielleicht einmal in den Spiegel schauen und uns selbst die vielen schönen Ratschläge geben, die wir Anderen aufdrängen? Uns einmal selbst ins Gewissen reden? Nachdem wir uns selbst mit einem kritischen Blick durch und durch analysiert haben?

Wir können leben wo wir leben, so viel Freiheit haben wir. Und dort wo wir leben, dort allein geht uns auch an.
Wir können helfen wo Hilfe gebraucht wird, so viel Ressourcen haben wir. Wir können, nein müssen, Zivilcourage an den Tag legen. Wir müssen im Notfall ungefragt, aber nach Regeln, eingreifen. Aber wir können die alte Dame nicht ununterbrochen über die Straße hin und her geleiten, wenn sie eigentlich nur an der Straße gestanden ist, um auf ihr Taxi zu warten.